Woran krankt die Eurozone?
Wenn man dem Pioniere der Managementlehre Peter Drucker glauben darf, ist die Anzahl der internen Meetings mit der Ineffizienz der Organisation positiv korreliert oder mit anderen Worten: Je schlechter ein Unternehmen organisiert ist, desto mehr interne Treffe sind notwendig, da niemand ansonsten weiß, was er genau zu tun hat. Auf die Eurozone übertragen, gibt das Ganze ein sehr trauriges Bild.
Ein Gipfel jagt den anderen, Versprechen werden gemacht, Entscheidungen getroffen und kurz danach ist wieder alles anders. Der Bürger und Wähler weiß schon gar nicht mehr, was er glauben soll und abgesehen davon, wird er auch erst gar nicht danach gefragt, was er will. Aber warum auch? Erklärungen komplizierter Zusammenhänge sind schwierig und könnten missverstanden werden. Die Politik muss unter Zeitdruck handeln und viele Entscheidungen sind ohnehin alternativlos, da von den Märkten vorgegeben. Begriffsstutzigen Bürger stehen in einer solchen Situation eher im Wege. Aber zurück zur Frage: Was läuft falsch in der „Organisation“ Eurozone?
Auseinanderfallen von Handlung und Verantwortung
Keine Organisation und keine Marktwirtschaft können dauerhaft funktionieren, wenn Handlung und Verantwortung auseinanderfallen, da die falschen Anreize gesetzt werden. Wer keine Verantwortung hat, dem fällt es leicht, verantwortungslos zu handeln.
Dieses Auseinanderfallen von Handlung und Verantwortung ist in der Eurozone leider zu oft zu finden und verstärkt sich zusehends. Dadurch wurde ein Umverteilungsprozess in die Wege geleitet, der in den ursprünglichen Verträgen nicht vorgesehen war. Riskantes Handeln im „Nebel der Verantwortungslosigkeit“ wird belohnt und initiiert Umverteilungsprozesse auf verschiedenen Ebenen:
- Umverteilung zwischen den Ländern: Ursprünglich war der Gedanke, dass die Wähler eines Landes auch für ihre Wahl geradestehen sollten. Der Stabilitätspakt war als Selbstschutz vor dem größten finanzpolitischen Unsinn gedacht und die No-Bail-Out-Klausel sollte dafür garantieren, dass das Einbrocken und das Auslöffeln der Suppe von ein und derselben Personengruppe übernommen werden. Finanzielle Solidarität bei fiskalpolitischem Fehlhandeln war bei der Gründung der Währungsunion explizit ausgeschlossen worden und sollte auch nicht eingefordert werden können. Mit der Umgehung der No-Bail-Out-Klausel, der Etablierung des ESFS und des ESM und der Intervention der EZB kann dieses Prinzip wohl ad acta gelegt werden.
- Umverteilung innerhalb der Länder: Auch die Finanziers von Banken, und ich schließe hier die Sparer ein, und Staaten wurden nicht für ihre (Fehl-)Entscheidungen in Regress genommen, sondern sie konnten und können ihre drohenden Verluste sozialisieren, ihre Gewinne jedoch privatisiert. In vielerlei Hinsicht kommt dies einer Umverteilung von Oben nach Unten gleich und führt zu verschärften sozialen Konflikten.
Fehlen einer demokratischen Entscheidungsinstanz
Die oben beschriebenen Umverteilungsprozesse wären sicherlich zu rechtfertigen, wenn sie demokratisch beschlossen worden wären. Genau daran fehlt es. Die zunehmende Machtfülle der EZB und der EU-Kommission ist nicht gerechtfertigt. Weder die Bevölkerungsanzahl noch die Höhe der Haftungssumme haben einen Einfluss auf die Stimmgewichtung, welche die faktischen Umverteilungsentscheidungen trifft. Dies ist nicht nur bedenklich, sondern widerspricht eklatant jedem Demokratieverständnis. Die EZB und die Kommission füllen dabei selbständig ein Machtvakuum, welches ihnen die Politik durch absichtliches Beiseitetreten eröffnet hat. Was für ein Armutszeugnis für die Handlungsfähigkeit der Politik.
Fehlen der Rechtssicherheit
Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. So lässt sich die derzeitige Situation wohl am besten beschreiben. Die rechtlichen Grundlagen der Währungsunion wurden schon von Beginn an augenzwinkernd verbogen. Der Stabilitätspakt wurde mit Füssen getreten (dem Fiskalpakt wird es ebenso ergehen) und wann immer nötig, wurde der Weg des geringsten Widerstands gewählt und Prinzipien über Bord geworfen. Nach dem Motto „der Zweck heiligt die Mittel“ wurden Verschuldungsgrenzen gerissen, Peripherieländer in die Währungsunion aufgenommen, die No-Bail-Out-Klausel umgangen und gegen das Verbot der Staatsfinanzierung durch die EZB verstoßen (zumindest sehe ich das so).
Formaljuristisch mag dies immer in Ordnung gewesen sein, die Flexibilität der Auslegung der Verträge grenzt aber schon an Willkür. Kritik an diesem Verhalten wird erschwert, indem diejenigen Bürger, die auf die Einhaltung der Verträge pochen, als Euroskeptiker dargestellt und Vertragsbrüche als Eurorettung tituliert werden.
Da gegenseitiges Vertrauen und Rechtssicherheit die Grundlagen jeder Vertragsgemeinschaft und damit auch der Währungsunion sind, ist die Aushöhlung des vereinbarten Rechtsrahmens ein schleichendes aber auch tödliches Gift für die Zukunft der Währungsunion.
Also was läuft falsch?
Eigentlich alles. Die Politik hat genau das Gegenteil von dem erreicht was sie erreichen wollte. Anstatt eine starke, gemeinsame Union zu schaffen, hat sie die Völker einander entfremdet und es Populisten einfach gemacht, die Schuld jenseits der eigenen Grenze zu suchen. Es wurde ein undemokratischer Umverteilungsmechanismus in Gang gesetzt, der jeglicher Kontrolle zu entgleiten droht, und der rechtliche Rahmen des politischen Handelns wurde leichtfertig einer gutgemeinten Willkür geöffnet. Es ist zu hoffen, dass die Politik und die Wähler noch rechtzeitig die Oberhoheit über das Handeln zurückgewinnen.Das Bundesverfassungsgericht hat das Parlament auf jeden Fall in einer Reihe von Entscheidungen schon dazu genötigt, seine Rechte wahrzunehmen. Das gestrige Urteil zum ESM war ein weiterer Schritt in die richtige Richtung (siehe hierzu den Artikel des Wirtschaftsphilosoph). Ob man am Ende des Prozesses die Auflösung der Währungsunion in Kauf nimmt oder nur eine Umgestaltung verlangt wird die Zukunft zeigen.
Ich teile zwar die Meinung von Dirk Elsner, dass Deutschland letztendlich einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten muss, dies ist aber erst der zweite Schritt. In einem ersten Schritt sollten die Wähler der betroffenen Länder und die Investoren ihren Beitrag leisten.Wie ein Treppenwitz der Geschichte mutet es diesbezüglich an, dass genau dem ESM, gegen den geklagt wurde, wenigstens noch einen kleinen Funken von indirekter demokratischer Legitimation innewohnt. Dort entspricht die Stimmverteilung wenigstens der Haftungssummen und der Vertreter Deutschlands im Gouverneursrat soll durch ein Gesetz an die Beschlüsse des Bundestages gebunden.
Es gibt ein viel grundlegenderes Problem der Eurozone, welches zu den drei genannten (und weiteren) Problemen führt: Der Euro selbst als Gemeinschaftswährung für einen unpassenden Währungsraum ist das eigentliche Problem. Damit fallen zwangsläufig Handlung und Verantwortung auseinander, fehlt die demokratische Legitimation auf europäischer Ebene und insbesondere für EZB-Entscheidungen, muss der Rechtsrahmen ständig angepasst werden und kommt es zu hohen Transfers bei untauglichen Rettungsversuchen des Unrettbaren.
Es bestreitet niemand, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Länder untschiedlich ist und die Mobilität der Arbeitskräfte schon durch die Sprachbarrieren behindert ist. Die oft zitierten Grundlagen für einen “optimale Währungsraum” sind also sicherlich nicht gegeben. Trotzdem könnte er geschaffen werden, wenn die Steuer-, Rechts- und Sozialsysteme angepasst und die Unterschiede mit dauernden Transfers ausgeglichen werden. Aber ich gebe ihnen schon Recht. Bis dahin ist es (hoffentlich) noch ein weiter Weg, da alles (und hier vor allem die Transfersysteme) demokratisch legitimiert und von den Bürgern gewollt sein muss. Und da stellt sich natürlich die Frage: Wollen wir das wirklich?