Pacta sunt servanda?

Eigentlich ist es unglaublich, mit welcher Chuzpe sich die Regierungen der Eurozone über den Geist der Europäischen Verträge hinwegsetzen. Das erste Opfer waren die Defizitgrenzen des Stabilitätspaktes, welche von Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Verfahrenstricks sabotiert wurden. Das nächste Opfer war die No-Bail-Out Klausel, die 2010 durch das Hilfspaket für Griechenland ad-absurdum geführt wurde. Schlimmer noch, mit der Etablierung diverser Rettungsschirme wurde der Bail-Out sogar noch institutionalisiert. Welches Verbot als nächstes an der Reihe ist, ist auch schon absehbar. Die direkte Staatsfinanzierung durch die EZB ist zwar strikt verboten, die Aufkäufe von Anleihen gefährdeter Staaten durch die EZB am Sekundärmarkt kann man aber getrost als ein Waten im Rubikon ansehen. Der neuste Trick, Gelder der Notenbanken an den IWF weiterzureichen, nur damit dieser die Gelder an die Regierungen der Euroländer weiterreicht ist nichts anderes als ein billiger Taschenspielertrick. Die Teilnahme einiger weniger Nicht-Euro Staaten an diesem Umgehungsgeschäft macht das Prozedere nicht glaubhafter.
Und zu guter Letzt gibt es noch die Target-Salden der Notenbanken untereinander. Ursprünglich als „Kontokorrentkredit“ gedacht, haben es die Notenbanken derjenigen Länder, die am meisten von der Eurokrise betroffen sind, geschafft, dauerhafte Verbindlichkeiten von über EUR 400 Mrd. gegenüber der Bundesbank aufzubauen. Diese Tatsache wird derzeit zwar nur von einigen Experten am Rande diskutiert, findet in der politischen Diskussion trotz des desastösen Volumens allerdings so gut wie keine Beachtung oder wird absichtlich totgeschwiegen.
All diesen „Vertragsverletzungen“ ist allerdings gemein, dass nicht der Wortlaut, sondern der Geist der Verträge verletzt wurde. Ein Heer von Juristen klopft jede einzelne Vertragsformulierung ab, um eine genehme Lücke zu finden, die es auszunutzen gilt. Was allerdings sind Verträge wert, wenn sie lediglich als leere Hülle weiterleben, ihres Geistes jedoch beraubt sind? Soll das die Basis sein, auf der wir unser gemeinsames Europa -ob mit oder ohne gemeinsamer Währung- aufbauen wollen? Das Versprechen zukünftiger, stärkerer Regelungen, die ein erneutes Aufflammen der Schuldenkrise verhindern werden, ist vor diesem Hintergrund ein totaler Rohrkrepierer. Wer soll den bitte noch solche Versprechen glauben, wenn die Erfahrung lehrt, dass Verträge in dem Moment wo man sie am meisten benötigt nicht mehr das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben wurden? Wie kann es sein, dass man als Antieuropäer und Nationalist dargestellt wird, nur weil man den Geist der Europäischen Verträge einfordert? Das Gegenteil ist richtig. Um eine weitere vertrauensvolle europäische Integration zu ermöglichen ist es unabdingbare Voraussetzung, dass sich die Politik und die Bürger Europas auf die Einhaltung des Wortlautes und des Geistes der bisher geschlossenen Verträge uneingeschränkt verlassen können.