Rentenreform und Gerechtigkeit

Rentenreform, Gerechtigkeit und die liebe Politik

Die derzeitige Debatte um die Rentenreform hat mich dazu gebracht, mich wieder einmal meinem Blog zu widmen. Das ist aber auch schon der einzige positive Effekt, den ich der Reform abgewinnen kann. Meiner Meinung nach, wird bei der Debatte einfach zu viel Unterschiedliches vermischt und dann zu guter Letzt mit einer Gerechtigkeitssoße übergossen, welche die Zutaten zusammenhalten soll. Niemand versucht ernsthaft, die einzelnen Komponenten der Reform und deren Finanzierung zu erklären. Daher mache ich mir einmal die Mühe darzulegen, wie ich die Sache sehe.

Für alle, die keine Lust haben, einen langen Artikel zu Ende zu lesen, habe ich meine drei Grundthesen schon einmal hier zusammengefasst:

  • Die Rente sollte nur von der Höhe und der Dauer der gezahlten Beiträge abhängig sein.
  • Gerechtigkeitsfragen sind sozialpolitische Fragen, welche die Gesellschaft als Ganzes betreffen. Wenn man der Meinung ist, dass einzelne Gruppen vom Rentensystem ungerecht behandelt werden, sollte man zusätzliche Leistungen aus Steuermitteln finanzieren.
  • Um eine langfristige ausgewogene Rentengesetzgebung zu garantieren, sollen auch Abgeordnete in die Sozialversicherungssysteme einzahlen müssen.

Die Rente als Sozialversicherung

Unabhängig von irgendwelchen Gerechtigkeitsaspekten, auf die ich weiter unten eingehe, bin ich der Meinung, dass die Rentenkasse zuallererst ein Versicherungssystem darstellt, in das man während der Berufstätigkeit einzahlt und aus dem man am Ende des Berufslebens eine Leistung erhält. Die Höhe der Leistung sollte nur von zwei Faktoren geprägt sein: (1) Der Höhe der geleisteten Einzahlungen und (2) Der Dauer der Einzahlungen. Alle anderen Komponenten, wie z.B. Anrechnungszeiten für Ausbildung/Mutterschaft oder die Witwenrente sollten aus dem System herausgenommen werden. Weder die Witwen, noch die Mütter, noch die Studenten haben während der Anrechnungszeiten Einzahlungen geleistet. Es sollte daher aus der Rentenkasse auch keine Leistungen dafür geben.

Das einzige zusätzliche Element, welches in der Rentenversicherung verbleiben sollte, ist die Erwerbsminderungsrente. Wenn jemand in die Rentenversicherung eingezahlt hat, aber aufgrund einer Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, weiterhin zu arbeiten, sollte dies von der Gemeinschaft der Rentenversicherten getragen werden, da meines Erachtens damit auch ein "Versicherungsfall" für ein Mitglied der Rentenversicherung eingetreten ist.

Wenn man auf diese Weise die Rentenversicherung in einem ersten Schritt von den systemfremdem Leistungen befreit hat, kann man sich Gedanken darüber machen, wie das Ganze zwischen den bestehenden und zukünftigen Mitgliedern der Versicherung finanziert werden soll. Man muss einen fairen Kompromiss aushandelt, der die jetzigen und zukünftigen Rentenbeiträge und das allgemeine Renteneintrittsalter regelt. Das ist auch kein einfaches Unterfangen, aber bestimmt leichter zu regeln, als wenn noch die systemfremden Leistungen einbezogen werden müssen. Die Rentenhöhe sollte allerdings, wie schon bemerkt, nur von der Höhe der eingezahlten Beiträge und der Dauer der Einzahlungen abhängen. Persönliche Lebensumstände (Kindererziehungszeiten, Ausbildungszeiten, Witwenrente etc.) sollten in diese ersten Schritt nicht berücksichtigt werden.

Die Gerechtigkeitsfrage

Erst in einem zweiten, unabhängigen Schritt kann man sich dann die Gerechtigkeitsfrage stellen. Wenn man beispielsweise der Meinung ist, dass Mütter wegen ihrer Lebensleistung im Ruhestand eine zusätzliche Leistung erhalten sollen, kann man dies durchaus machen, aber nicht innerhalb des Rentensystems. Solche Leistungen sollten einzig und alleine aus Steuermitteln finanziert werden. Mütter ziehen im Zweifel ja nicht nur Beitragszahler, sondern vor allem auch Steuerzahler groß.

Das Gleiche gilt für alle anderen Fälle auch. Wenn die Gesellschaft denkt, dass es gerecht sei, nach 45 Beitragsjahren mit 63 in den Ruhestand zu gehen, kann sie sich gerne dazu entschließen. Aber nur, wenn die zusätzlichen Kosten dafür aus Steuermitteln finanziert werden.

Systemfremde Leistungen aus der Rentenkasse zu finanzieren ist letztendlich nichts anderes als eine Entlastung des Staatshaushaltes zu Lasten der Beitragszahler und der zukünftigen Generationen. Gerechtigkeitsfragen außerhalb der Generationengerechtigkeit haben im Rentensystem nichts zu suchen, sondern sind gesellschaftliche Fragen, für welche auch die Gesellschaft als Ganzes aufzukommen hat.

Die Politik

Die derzeitigen Talkshows zum Thema Rente sind von einer kaum zu überbietenden Skurrilität gekennzeichnet. Es ist so, als würde man ausschließlich katholische Geistliche zu einer Talkrunde zum Thema "Eheprobleme und Familienplanung" einladen.

Die meisten Teilnehmer der Talkshows sind Politiker, die sich aus der Rentenversicherung verabschiedet und ihr eigenes üppiges Versorgungssystem geschaffen haben. Warum stellt eigentlich kein Moderator die Frage, welchen persönlichen Beitrag die Politiker zum Schließen der von ihnen gefundenen "Gerechtigkeitslücken" leisten?

Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Es gibt für mich keinen vernünftigen Grund, weshalb ein Abgeordneter nicht in die Sozialversicherungssysteme einzahlen sollte. Nur wenn die Politiker von den Auswirkungen ihrer Reformen selbst betroffen sind, kann man hoffen, dass ein langfristig stabiles System etabliert wird. Ansonsten ist zu befürchten, dass Reformen zum kurzfristigen Wählerfang missbraucht werden.

Warum gibt es eigentlich keine Talkshows, die sich dieses Themas annehmen?